Aus dem Nähkästchen einer Veränderungsbegleiterin

Beitrag zur Blogparade: "Change - Wie schlagen wir Brücken von Alt zu Neu?" von Mark Poppenborg, intrinsify.me

#neuewirtschaft #newwork #change #leadership #digitaletransformation #sha

Lesezeit: 8 – 10 Minuten

 

Meinen ersten Vollkontakt mit einer systemischen Intervention erlebte ich, als ich, einen halben Tag verspätet, abends zu einer Change-Werkstatt dazu stieß und in eine „Reflecting Team-Übung“ hineinplatzte. Ich war den ganzen Tag bei SAP, ganz in der Nähe gewesen und hatte als Unternehmensberaterin und Verkaufstrainerin in einer Haltung der absoluten Hüterin des Wissens meine Klienten darin beraten, wie sie etwas RICHTIG machen. Die Erfolge sprachen für sich, mein Weltbild war im Reinen.

 

Als ich nun diesen Saal in einem Schloß an der südlichen Weinstraße betrat, saßen die Berater, die die Sessions nachmittags geleitet hatten in der Mitte im Kreis, um sie herum so illustre Kunden wie Daimler, Bosch etc. Die Teilnehmerliste war beeindruckend. Eine der Beraterinnen schilderte gerade, dass sie sich in ihrer Session sehr unsicher gefühlt hatte, dass sie sich auch nicht gut vorbereitet fand und das Gefühl hatte, die Teilnehmer hätten das auch gemerkt. Ich erschrak zutiefst, mir blieb fast das Herz stehen. Wie konnte eine (sicher hochdotierte) Vertreterin des Veranstalters so reden, sich so blamieren? Schlecht leisten und das auch noch zugeben, in einem nachdenklich berichtenden Tonfall, nicht etwa zerknirscht und stockend? Vor solchen Kunden? Mir schwindelte. Mein Weltbild schwankte.

 

Um es kurz zu machen, einige intensive Fortbildungen in „Begleitung von Veränderungen in Unternehmen“ später, kannte ich auch den Hintergrund. Meine wichtigste Lektion hatte ich sofort gelernt: bei Trainings geht es darum, vorhandenes Wissen zu vermitteln und einzuüben; in der Begleitung von Organisationen dagegen, wo man mit Menschen und Teams zu tun hat, gibt es keinerlei Garantie, dass das in eine gewünschte Richtung geht. Menschen wollen in diesen Fragen auch nicht belehrt werden. Druck erzeugt Gegendruck. Das bringt gar nichts.

 

Es geht darum, in Resonanz zu gehen, sich frei zu machen von Erwartungshaltung oder, wie in meinem Fall, moralingetränkten Vorstellungen von „professionellen Beratern“. Und sich ehrlich und authentisch zu machen. Einen Raum aufzumachen, in dem sich Menschen begegnen können mit allem Menschlichen: Gefühle, Sorgen, Nöte, Wünsche, Hoffnungen. Echt eben. Sobald das einen Platz hat, geht es automatisch weiter mit dem rationalen Tagesgeschäft, dem Business, dem Geldverdienen, da muss man keine Sorge haben, dass alle nur noch „Ohm“ machen. Es ist, wie wenn ein Knoten aufgegangen ist. Dann können alle weiter arbeiten.

 

Das war aber eine echte Vollbremsung  für mein Verständnis als Trainerin, die mit Überzeugung Knowhow vermittelte, die wusste, wie es geht und die belohnt wurde mit hochemotionalen Dankbarkeitsbekundungen der TeilnehmerInnen.

 

Demut war nun gefragt. Offene, fragende Haltung, keine Garantie für ein bestimmtes Ergebnis. Scheitern als Kunst. Ich habe also gelernt, koevolutionär zu driften, mich auf den Kunden einzuschwingen, den richtigen Moment zu erspüren und genau dann eine gut gewählte Intervention zu setzen. Bei diesem Ankoppeln ans Kundensystem helfen eine ganze Reihe bewährter Diagnosetechniken, allen voran systemische Methoden und die Darstellung des Beziehungsgeflechts im Raum. Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte.

 

Es gilt herauszufinden: Wie ist es, Teil dieses Systems zu sein?

  • die Sprache der Internen: Abkürzungen, Workflow
  • ungeschriebene Gesetze,
  • Stärken & Schwächen, Vorlieben & Abneigungen maßgeblicher Player,
  • Macht & Einfluss: wie hier Entscheidungen zustande kommen 
  • Formelles & Informelles
  • Rechte & Pflichten, Grenzen

kurz: die Hinterbühne.

Eine Garantie für eine bestimmte Wirkung von Interventionen gibt es auch dann nicht, wenn man die „Sprache“ gelernt hat, aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich das System des Kunden weiter bewegt. Vorrangig geht es dabei darum, Angst aus dem System zu lösen. Denn Angst lähmt. Und das praktiziere ich nun seit rund 20 Jahren.

 

Die klassischen Change-Manager sind schuld

 

Insofern irritiert es mich heute, wenn ich in dieser Blogparade nicht von dem sonst üblichen Führungskräfte-Bashing lese, sondern das „klassische Change-Management“ als Übeltäter ausgemacht wird, dafür dass die Kultur in Unternehmen ist wie sie ist und von gemanagten Change-Programmen auch nicht irgendwohin bewegt werden kann. Ich weiß nicht, was sich hinter „klassischem Change-Management“ genau verbirgt, es wird ja nicht definiert oder die Methodik benannt, es werden ihm aber pauschal allerhand misslungene Aktivitäten zugeschrieben.

 

Natürlich kenne auch ich aus meiner Praxis die unschönen Resultate z.B. misslungener Leitbild- und Wertediskussionen in Unternehmen, wo es nicht ehrlich zuging, die nicht ergebnisoffen war oder wo die Vertraulichkeit nicht gegeben war und kämpfe dann mit den Folgen des schlecht genutzten Vertrauensvorschusses, der nicht so einfach erneut zu erlangen ist, aber das DEM Berater oder DEM Programm zuzuschreiben, scheint mir zu kurz gegriffen. Auch gute Berater sind keine Zauberkünstler, die die berühmte gläserne Decke wegzaubern können. Aber sie sichtbar und erlebbar zu machen, ist doch eine wichtige Information über das System.

 

In einem internationalen Handelskonzern, den ich berate, wurde nach der Übernahme durch Private Equity und der ersten Entlassungswelle der Unternehmensgeschichte eine Runde „Change-Seminare“ an die Führungskräfte verteilt, in denen nicht etwa Raum gegeben wurde wie in Workshops, um über die persönlichen Erfahrungen zu sprechen, sondern akademisch über die Phasen etc. doziert wurde. Diese Reihe wurde wegen massiver Unzufriedenheit abgebrochen. Das macht doch Mut. Und es sagt etwas über die gute Kultur im Unternehmen. Berater und System müssen zusammen passen, sonst spuckt das System den Berater einfach wieder aus. Wenn es „schlechte“ Berater behält, sagt das auch etwas.

 

Ich bin auf den Wevents einer ganzen Reihe kluger, vorwiegend systemisch ausgebildeter BeraterInnen begegnet, die mit viel Empathie und guter Methodik ausgestattet, ihre Beobachtungen aus Kundensystemen geschildert haben und oft sehr klar erkannt haben, worum es eigentlich geht und die Stories von Vorder- und Hinterbühne gut beschreiben konnten.

 

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass die allermeisten Führungskräfte und Mitarbeiter sich in einem geschützten Raum öffnen und sehr genau und authentisch schildern können, was sie erleben, was sie sich wünschen, aber auch warum sie nicht daran glauben, dass sich Missstände ändern werden. Und da stößt auch der Berater an seine Grenzen. Wenn der Auftrag nicht umfasst, den Wünschen konkrete Maßnahmen folgen zu lassen, sondern die kumulierten Ergebnisse dem Auftraggeber vorgetragen werden, aber dann mit einem wissenden Nicken in der Schublade verschwinden. Dann sind Berater genauso machtlos wie Führungskräfte, egal wie gut sie den Casus knacksus herausgearbeitet haben. Dann fehlt das Potenzial für echte Konsequenzen: im System, nicht unbedingt beim Berater.

 

Und hier fängt für mich Transformation und Zukunft an

 

Alles, was in den letzten Jahren passiert ist, was dazu geführt hat, dass wir in einer VUCA-Welt leben, kann einem Angst machen. Das ist ein angemessenes Gefühl. Und wir wissen nun auch seit vielen Jahren, was Angst mit Menschen macht: eine der ältesten Hirnregionen übernimmt die Regie über unser Denken und Handeln und das kennt nur zwei Varianten: fight or flight. Meistens fliegen nicht die Fäuste, aber die Aggressivität in Form von Druck und Stress ist ja deutlich zu spüren.

 

Wenn wir uns anschauen, welches Wertesystem nach Wilber/Laloux viele Manager in  letzter Vergangenheit erfolgreich nach ganz oben gespült hat, dann leuchtet es ziemlich rot auf: der Ruf nach dem starken Mann, der die Ordnung wieder herstellt: eisern fokussieren, knallhart priorisieren, zielorientiert auch unangenehme Entscheidungen durchsetzen, das klingt mächtig nach fight. Aber wer kämpft gegen wen?

 

Das mittlere Management blockiert die notwendige Anpassung?

 

Die Spatzen pfeiffen es von den Dächern: das mittlere Management ist der übelste Blockierer, wenn es um die gewünschte Anpassung geht, die die Digitale Transformation den Unternehmen abverlangt. Pfründe, Reviere und Status werden verteidigt, Kontrolle erhöht, die komplexe Realität ausgeblendet hinter der Illusion, man könne die relevanten Faktoren der komplexen Umwelt in KPIs beherrschbar machen. Mitarbeiterführung Totalausfall. Aber ist das wirklich das Machwerk dieser Ebene?

 

Ich habe etliche dieser Gescholtenen seit vielen Jahren auf ihren klassischen Karrierepfaden begleitet. Und ich erlebe bei ihnen Ungläubigkeit angesichts dessen, was um sie herum geschieht (Budgets gestrichen, keine Informationen mehr, Degradierung, Beteiligung/ Vorschläge nicht mehr erwünscht, Priorisieren & Depriorisieren in willkürlichem Hin und Her, kurzatmig auf der Jagd nach Quartalsergebnissen, die völlig unrealistisch sind, Panik im Board bei - absehbarer - Zielverfehlung) und die sehr darunter leiden, dass sie für ihr Team, ihre Mitarbeiter nichts mehr tun können. Nicht mehr führen, fördern, entwickeln, noch nicht mal mehr schützen. Und nur noch Hinterhertrauern können, wenn ihre besten Leute gehen.

 

Was ist da los? Was ist der nächste Schritt?

Persönliche Transformation.

 

Laloux bringt es wunderbar auf den Punkt: das Team/ Unternehmen kann sich nur bis zu dem Grad entwickeln, den der Inhaber/ Leader in seiner persönlichen Entwicklung erreicht hat.

 

Aktuell steigt der Druck zwischen dem althergebrachten Liefern der Zahlen, dem Mangel an guten Leuten, die sich dem aussetzen wollen und der gefühlten Machtlosigkeit, etwas ändern zu können. Vielerorts noch Verzweiflung oder schon Resignation.

Der Ausweg für jeden einzelnen bedeutet: sich seinen eigenen Ängsten und Unsicherheiten stellen. Ich weiß, das klingt nicht sexy.

 

Ich staune immer wieder, was sich erwachsene Menschen, gestandene Persönlichkeiten, gebildet, etabliert, mit langer Erfolgsgeschichte, alles anhören, nur weil es „von oben“ kommt. Und dann auch noch loslaufen und versuchen, das offensichtlich Unmögliche machbar zu machen.  

 

In einem internationalen Konzern, wo ich Workshops mit den Top 60 Führungskräften durchführte, erklärte mir jeder einzelne Manager, die z.T. Verantwortung für Einheiten mit 10.000 Mitarbeitern hatten, dass SIE da gar nichts machen können, da es ja immer noch eine Ebene über ihnen gibt, die ihre Ideen bestimmt nicht gut finden. Weshalb sie es gar nicht erst versuchen?

 

Was führt denn zu so einer Haltung? Wir leben in einer Demokratie, wir haben mit das beste soziale Netz weltweit, gute Fach- und Führungskräfte werden händeringend gesucht. WTF ist da los, dass sich gestandene Persönlichkeiten so einschüchtern lassen, nur aus anerzogenem Respekt vor der - Hierarchie? Angst vor Sanktionen? Strafen habe ich selten tatsächlich beobachtet.

 

Die Hierarchie bei den Hörnern packen

 

Also habe ich beschlossen, eine Akademie für Führungskräfte zu gründen, um einen Raum zu schaffen, in dem sich Menschen in Führung zunächst einmal mit sich selber auseinander setzen können. In einem geschützten Raum, mit Persönlichkeiten aus verschiedenen Branchen und Unternehmen. Dort passieren unglaubliche Dinge: tiefe Einsichten, aber auch Grenzerfahrungen. Auf jeden Fall persönliche Transformation.

 

In dieser Meisterklasse, haben wir ein ganzes Modul lang die Implikationen von Hierarchie genau betrachtet. Haben Parallelen gezogen: was können wir aus unseren Familiensystemen für Transfers nutzen, in denen in den letzten 100 Jahren einiges erreicht wurde: demokratisches Wahlrecht, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, gemeinsames Sorgerecht... Welche persönlichen Geschichten kennen wir aus unseren Familien, um Hierarchie zu überwinden? Die resolute Großmutter, aber auch die Geschichten von Flucht und Vertreibung, dem verlorenen Krieg und wie die Familie damit umgegangen ist.

 

Es war eines der Highlights dieser Ausbildung. Denn nur wenn man genau hinschaut, was einem so sehr Respekt einflößt, findet man auch den Mut, seine Angst zu überwinden. Wörtlich bedeutet Hierarchie „heilige Ordnung“. Das markiert ja schon einmal den Absolutheitsanspruch. Und das hat sogleich zu skeptischem Distanzieren geführt. Yeah!

 

Erst wenn die Übermacht nicht mehr so bedrohlich ist, können auch die Hirnbereiche, die für Denken, Entscheiden, Gestalten und Kreativität zuständig sind, wieder ihre Arbeit aufnehmen. Diese Überwindungsarbeit müssen Führungskräfte für sich selber leisten. Das kann ihnen keiner abnehmen. Dabei hilft allerdings ein gut geschützter Rahmen, der die Sicherheit vermittelt, sich auf diesen Prozess einzulassen. Ich kann nur raten, das bewusst und reflektiert zu tun und sich nicht nur der Macht des Faktischen zu ergeben, weil man nicht mehr daran vorbei kommt. Denn nur durch das Bewusstmachen und Überwinden dieser Sorgen und Nöte kommt man an sein volles Potenzial.

 

Wenn die persönliche Transformation geschafft ist, heißt es, auf sein Team zuzugehen. Dabei helfen in jedem Fall Methoden aus der Veränderungsbegleitung: Wahrnehmen, was wirklich ist, die Erkenntnis, dass sich unser Verhalten und unsere Entscheidungen nicht auf rationalen Gründen aufbauen, Verständnis für die Stärken und Schwächen der anderen. Ankoppeln an mein Gegenüber.

 

Wichtig für die Wirksamkeit ist dabei immer die richtige Haltung. Leider habe ich auch schon von einer Personalentwicklerin (!) gehört, Teamentwicklung sei ja ganz einfach: man müsste sich nur aus einer Liste von Teamübungen die passende raussuchen und könnte das dann einfach „runterrechnen“. Vielleicht ist so etwas mit „klassischem Change-Management“ gemeint. Die Konsequenz war, dass die Bereiche Workshops umbenannt und um sie herum gebucht haben. Da kann man Unternehmen schon vertrauen. Doof sind sie nicht.

 

Fazit

Persönliche Transformation vor Corporate Transformation.

 

Um hierarchische Unternehmen zu transformieren, muss man erst sich selber wappnen und unterschwellige Ängste und Hemmungen überwinden. Dann kann ein Leader einen Raum aufmachen, in dem sich auch sein Team/ Unternehmen transformieren kann.

 

Angst überwinde ich nicht durch Druck, Basta-Befehle oder Unverständnis, sondern in einer begleiteten Selbstbegegnung. Dafür braucht es einen geschützten Raum. In dem es übrigens nicht esoterisch oder therapeutisch, sondern emotional anspruchsvoll und intellektuell fordernd zugeht.

 

Um die angemessene Haltung einzunehmen, hat sich eine systemische Grundlage bewährt. Die wird in Deutschland schon von vielen guten Leuten vertreten.

 

Um es nach Laloux zu formulieren: Zeit für die nächste Stufe der Entwicklung! Es lohnt sich.

 

Ich werde in Stuttgart auf dem Wevent dabei sein und freue mich auf eine angeregte weitere Diskussion, natürlich auch gerne in den Sozialen Medien!